Nimue hat geschrieben:
Andrew ist für mich der schwächste Charakter- er kommt aus einem wohlbehütetem Elternhaus, bekam alle (Bildungs-)Möglichkeiten und materiellen Wohlstand. Trotzdem schafft er es nicht, wenn einmal Widerstände auftauchen, für das ( die) , das ihm wirklich am Herzen liegt, gegen alle Opposition zu kämpfen. Ich glaube nicht, dass er Carol wirklich versteht, ich hatte immer den Eindruck, er liebt eher sein Bild von ihr oder sogar, mit dieser vom Elternhaus ungewollten Liebe, (auf einer unbewussten Ebene) gegen seine Eltern zu rebellieren.
Dieses Eindrucks kann man sich nicht erwehren, weil so viele seiner Handlungen im Zusammenhang mit Carol stets durch seine häusliche Situation mit bestimmt werden. Prägnant ist ja, dass er seine Frau während des Studiums kennen lernt, sie nicht in seiner Heimatstadt heiraten und auch zunächst woanders wohnen.
Nimue hat geschrieben:
Wenn einer Carol wirklich helfen kann, mit all dem Ballast, den sie mit sich herumträgt, fertigzuwerden, dann ist es für mich John, der sie so liebt und annimmt, wie sie ist- " never think you can't tell me things"...
"never think you can't tell me things" ist auch mein Lieblingssatz und ich nehme ihn schon ernst, sonst hätte man ihn ja nicht ins Drehbuch schreiben müssen. Er steht auch in einem interessanten Gegensatz zu Andrews Verhalten, nachdem dessen Vater Carols frühe Schwangerschaft seinem Sohn kundgetan hat. (Übrigens finde ich es einen echten Skandal, wie dieser Mann mit der Schweigepflicht umgeht und das er gar nicht hinterfragt, warum ein so junges Mädchen, das eben noch mit seinem Sohn gespielt hat, schwanger ist.) Andrew ist wütend auf Carol und bestürmt sie zunächst mit Vorwürfen, um ihr dann die Heirat vorzuschlagen. Zwar hat sie ihm die Wahrheit und damit die wichtigsten Fakten offenbart, aber ein Angebot, jederzeit mit ihm darüber oder alles andere, was sie belastet, zu reden, macht er ihr hier und auch sonst nicht.
Maike hat geschrieben:
Wie soll ich das ausdrücken, ich befürchte dass es John an sozialen Fähigkeiten mangelt. Er ist ein grundguter Mensch aber manchmal ist es bei sehr schüchternen Menschen eben nicht so, dass sie einfach nur ihre Schüchternheit überwinden müssen und dann sind sie ganz wundervoll. Das doch sehr verkrampfte Händchenhalten und die folgende Hochzeitsnacht sind da kein besonders gutes Omen für den weiteren Umgang miteinander - anderseits waren sie sehr viel lockerer bei den Hochzeitsvorbereitungen. Ich weiß nicht, ob John seine guten Absichten, die er zweifellos hat, wirklich umsetzten kann oder ob er dazu zu unbeholfen und auf jeder Ebene zu unerfahren ist und ob die beiden eine gewisse Nähe aufbauen können. Zum Beispiel sagt er ihr, sie könne ihm alles sagen, aber wenn Carole ihm die ganze Wahrheit über Lisa sagen würde (es ist eine Weile her, dass ich SH gesehen hab, aber ich glaube, dass ihr Vater Lisas Vater ist, bleibt ihr Geheimnis?) könnte er in einer Weise damit umgehen, dass er eine emotionale Stütze für sie wäre?
Wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten Andrew, der Carol doch als Seelenverwandter von Kindheit auf kennt, immer wieder hat, sein Verhältnis zu ihr zu definieren, finde ich die verkrampfte Situation nach dem Nach-Hochzeits-Offenbarungsdesaster nachvollziehbar. Ich verstehe die häusliche Szene danach so, wie Du es andeutest, Maike: Carol und John hatten sich durchaus erfolgreich angenähert und verlassen doch ziemlich entspannt das Standesamt und dann kommt Andrew mit seinem „Lisa weiß alles und ich bin ihr Vater“. Wen würde das nicht erschüttern?
Mir geht es einfach nur darum, dass ich John nicht für geistig und emotional inkompetenter halte als die anderen Figuren. Ob Carol und John wirklich eine glückliche oder gute Ehe führen könnten, ist wirklich schwer zu beantworten und der Film lässt es meiner Ansicht nach bewusst offen: John und Lisa holen gemeinsam Carol nach Andrews Selbstmord aus der Ruine und stützen sie, aber ganz zum Schluss löst sich Carol von beiden und geht ein kleines Stück vor ihnen. Das kann nun jeder so interpretieren, wie er mag. Auf jeden Fall sehe ich aber ein ehrliches Bemühen der beiden.
Maike hat geschrieben:
Außerdem sehe ich dass bei Sparkhouse etwas ähnliches passiert wie bei RH - eigentlich soll der Zuschauer auf der Seite von Carole und Andrew stehen und sie als tragisches Liebespaar sehen (immerhin sind sie ja Cathy und Heathcliff) während John den Part von Isabella hat und den Charakter von Hareton. Wenn wir das nicht tun, hat das eine Menge damit zu tun, dass "der andere Mann" von RA gespielt wird und der eigentlich Held nicht an ihn heranreicht, aber vorgesehen war es so nicht.
Nun ja, was vorgesehen gewesen sein mag, wissen wir nicht und Autoren und Filmemacher können die Aufnahme ihrer Werke durch die Leser/das Publikum in einem bestimmten Sinn nicht erzwingen, sondern nur versuchen, sie dorthin zu führen. Da gab es schon viele Überraschungen im Laufe der Literatur- und Filmgeschichte. Es ist einfach eine Frage des Alters, der Persönlichkeit, der Erfahrungen und unzähliger weiterer Faktoren, wer ein Werk wie versteht. Und da ja WH nicht orginalgetreu nacherzählt ist, sondern die Geschichte zeitlich versetzt und rollentechnisch umbesetzt wurde, kommt es automatisch zu einer Neubewertung der Charaktere und ihrer Handlungsweisen. Großen Einfluss hat dabei meines Erachtens auch die Neuzuordnung der Eigenschaften zum jeweils anderen Geschlecht. Es macht einen großen Unterschied, dass die Protagonistin den wilden und unabhängigen Part inne hat. Deshalb glaube ich nicht, dass ich JS nur interessant und spannend finde, weil ihn RA spielt. Mit RH bin ich bis jetzt nicht warm geworden, trotz der Beteiligung von RA, und in anderen RH-Verfilmungen kann ich mich auch für gute Darstellungen des Sheriffs von Nottingham und für GoG begeistern, selbst wenn ich dort den RH mag. Und, wie gesagt, ich leide auch mit Andrews Ehefrau mit, die mir sehr sympathisch ist. Und mir gefällt die Umsetzung durch die Schauspielerin, die ja nun definitiv nicht RA ist.
Nimue hat geschrieben:
Annette's Beitrag kann ich leider als Nichtmitglied bei C19 nicht lesen.
Ich leider auch nicht.
Floumi hat geschrieben:
OT: Boah, ich hoffe jetzt echt mal, dass
Amazon von Eulen- und Briefentaubenpost (wie bei Edin) wieder umgestiegen ist auf die gute alte DHL - und ich endlich bald die DVD in Händen halte und Eure Diskussion nachvollziehen kann!
Na, wir warten gespannt auf Deine Lesart, äh Sichtweise.
vinblanc hat geschrieben:
Sehr interessante und fundierte Analysen. Kompliment mesdames.
Was mir an der Figur Standring sehr gefällt und beeindruckt, ist seine schier grenzenlose Loyalität und Empathie in alle Richtungen. Das spricht in jedem Fall für eine ausserordentlich grosse Sozialkompetenz. Etwas, das ich den beiden Hauptprotagonisten des Films abspreche.
Danke für Lob und bestätigendes Verständnis!