Lese gerade das Buch "Das Beste am Leben" von Debra Adelaide
Ich schreib einfach mal ab:
Ich dachte oft an Mrs Bennet, wenn die Gangart zu hart wurde in dem Hochleistungssport, zu dem die Aufzucht zweier Töchter geworden war. Mrs Bennets Töchter hatten vielleicht mehr Respekt vor ihrer Mutter gezeigt, hatten nicht stundenlang in ihrem Zimmer zugebracht, sich das Gesicht mit pappigem Make-up zuzukleistern und dabei immer wieder die selbe Ausgaben von Girlfriend oder Total Girl u lesen oder obskuren Punkbands zu laschen; sie hatten vielleicht nicht darauf bestanden, sich vor dem Augenblick an, wo sie sich alleine die Bluse zuknöpfen konnten, wie Kinderprostituierte zu kleiden, sich nicht schon im zarten Alter von acht geweigert, Fleisch zu essen, und noch vor der Pubertät verlangt, sich den Nabel piercen lassen zu dürfen. Aber ich musste zugeben, dass nicht alles anstrengend war. Zum einen hatte sie fünf Töchter gehabt. Ich hatte immerhin nur zwei. Und die arme Mrs Bennet musste sie nicht nur aufziehen, sondern auch geeignete Ehemänner für sie finden. Ich mochte ja eine Hochzeit planen, aber wir lebten in einer Zeit, in der die Wahl des passenden Ehemanns nicht mehr in den Aufgabenbereich der Eltern fiel. Daisy würde heiraten oder nicht, ganz wie es ihr beliebte. Nicht so Jane, Elizabeth, Mary, Kitty und die dumme kleine Lydia. O ja, Jane und Elizabeth hatten vielleicht noch in gewisser Hinsicht eine Wahl, und Elizabeth mochte von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, die absurden Avancen von Mr Collins und den ersten erstaunlichen Antrag von Mr. Darcy abzuweisen, ohne sich dabei um die Wünsche ihrer Mutter zu kümmern. Aber weder sie noch irgendeine andere Austen-Heldin hätte mit der Liebe ihres Lebens in einem Künstleratelier im East End von London gelebt. (...) Ja sicher, Mrs Bennet hatte eine Haushaltshilfe, und ich hatte keine. Aber Mrs Bennet hatte auch weitaus mehr Verpflichtungen als ich. Ich brauchte das Leben meiner Töchter nicht nach einem starren gesellschaftlichen und häuslichen Plan zu führen. Wir mussten keine altjüngferlichen Gemeindeschwestern aufzusuchen und auch keinen Besuch von besserwisserischen gesellschaftlich Höhergestellten erdulden. (...) Mrs Bennet hingegen war verantwortlich dafür, dass alle ihre Töchter tanzen, Karten spielen und handarbeiten konnten. Zumindest eine von ihnen - Mary - spielte wohl recht ordentlich Pianoforte, italienische Lieder und schottische Weisen. Sie alle mussten salonfähig sein, die Etikette beherrschen und mit den historischen Epen von Sir Walter Scott vertraut sein. Sie musste da für sorgen, dass der Teint einer jeden Tochter klar fein und hell blieb, dass ihr Taillenumfang nicht mehr als sechzig Zentimeter betrug, dass ihr Haar in Wellen und Löckchen vfiel. (Lydia hätte Rasur, Stachel oder Strähnchen oder alles drei auf einmal bestimmt gut gefunden.) Mrs Bennet war verantwortlich für ihr Betragen, ihre Haltung, ihre Manieren, wenn sie in der Kirche oder bei Tisch saßen, für ihr Benehmen, wenn sie zum Kurzwarengeschäft in den Ort spazierten. (Lydia hätte sich bestimmt gerne tätowieren und den Bauchnabel piercen lassen.) Sie musste ihnen höfliche, passende Konversation in unterschiedlichen Kontexten, vom Vikar bis hin zum Küchenmädchen, vermitteln. Sie musste ihnen alles beibringen über Darmbewegung (ohne vulgär zu werden), Menstruation (ohne das Wort Blut in den Mund zu nehmen), sexuelle Beziehung zwischen Mann und Frau (ohne den intimen körperlichen Akt erwähnen zu dürfen, geschweige denn Wörter wie Penis oder Vagina - so etwas durfte sie nicht einmal denken). Und schließlich musste sie sich der aufreibenden, alles verzehrenden Aufgabe widmen, den geeigneten Mann zu finden, der an ebenjenem unaussprechlichen Organ hing - dem einzigen Zweck, Höhepunkt und der Rechtfertigung im Leben einer Frau. Die arme Mrs Bennet! Es war wirklich eine Aufgabe von ungeheurem Ausmaß. Und in der Tat versagte sie ja auch bei vielen ihrer Pflichten. Ich glaube, noch nicht einmal Jane schaffte es, anständig Klavier zu spielen (aber Lydia Schlagzeug - zumindest stellte ich mir das vor). Nicht eines der Bennet-Mädchen hatte eine Schule besucht, und da sie auch nie eine Gouvernante gehabt hatten, waren sie erschreckend ungebildet. Aber Mrs Bennet tat ihr Bestes, und zu den schlimmsten Problemen, die sie bewältigen musste, gehörten wohl die milde Gleichgültigkeit und der sarkastische Humor ihres bibliotheksbesessenen Ehemanns.
Ich empfand diesen Textabschnitt als eines der Highlights dieses tollen Buches!
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