Hier ein Artikel zum Jahrestag des Erscheinens des Buches:
Die Geburt eines Helden
Die Sage von den tapferen Halblingen hat den englischen Autor J.?R.?R. Tolkien berühmt gemacht. Heute vor 75 Jahren erschien „Der Hobbit“ erstmals als Buch. Es ist die Grundlage für die große Romantrilogie „Der Herr der Ringe“.
Von Nina May
Berlin. Jeder neue Trailer wird in Fanforen gefeiert wie eine Offenbarung, dabei kommt die Verfilmung von Tolkiens „Der Hobbit“ erst im Dezember ins Kino. Vor 75 Jahren erschien diese Vorgeschichte zur „Herr-der-Ringe“-Trilogie, die den ganz besonderen Heldenmythos der Hobbits begründete. Tolkien hatte seine Welt Mittelerde mit allerlei fantastischen Geschöpfen bevölkert: edlen Elben, knurrigen Zwergen, mutigen Menschen, garstigen Orks. Einer Spezies aber vertraute er die wichtigsten Aufgaben an: In „Der Herr der Ringe“ ist es an Hobbit Frodo, den Ring zu zerstören und die Macht des Tyrannen Sauron zu zerstören. In der Vorgeschichte, „Der Hobbit oder Hin und Zurück“, setzt Frodos Onkel Bilbo Beutlin seine Künste als Meisterdieb ein, um den Konflikt zwischen Zwergen und Elben zu lösen.
Man könnte also meinen, diese Hobbits müssten muskelbepackte Hünen sein, die das Frühstück durch ein Krafttraining ersetzen. Weit gefehlt. Hobbits werden auch Halblinge genannt, weil sie sogar noch kleiner als Zwerge sind. Groß sind an ihnen nur die behaarten Füße. Sie kleiden sich vor allem in Grün und Gelb, womit sie gegen das Mode- ideal des klassischen Fantasy-Helden verstoßen. Der trägt Schwarz. Hobbits leben in komfortablen Höhlen im Auenland, einer saftigen Landschaft aus Hügeln und Bächen. In dieser Gegend sind die Schwerter meist stumpf, und die Schilde dienen als Baby-Wiege. Hobbits legen Wert auf Höflichkeit, Bilbo bewirtet eine Horde Zwerge, die unangekündigt in seine Höhle platzt – fast ohne Murren. Wegen ihrer konservativen Ader halten sie „verwegen“ für ein Schimpfwort. Welchem Helden ist es schon peinlich, dass ihm nach der Flucht vor mordlustigen Orks Knöpfe am Mantel fehlen? Bilbo Beutlin.
Man könnte also denken, Tolkien hätte keinen unpassenderen Helden finden können. Was im Übrigen zunächst auch die Zwerge denken, als sie mit Bilbo losziehen, um Schatz und Thron vom Drachen Smaug zurückzuerobern. Doch verteidigt ihn der Zauberer Gandalf mit den Worten „An Bilbo Beutlin ist mehr dran, als ihr ahnt“. Und damit meint er nicht nur, dass sich Hobbits „nachts im Wald absolut geräuschlos bewegen“ können, sich gut verstecken und unterirdisch orientieren. Bilbo hat bessere Augen als seine Gefährten und ist ein Meister im Rätselraten. All diese Eigenschaften teilen die Hobbits mit der Schreckensgestalt Gollum, der Bilbo den magischen Ring stiehlt. Korrumpiert von der Macht des Schmuckstückes, lebt Gollum auf der Nacht-seite von Mittelerde. Dieser Einzelgänger ist das dunkle Zerrbild der Hobbits – und war einmal einer von ihnen. Allein seine Existenz beweist, dass die Halblinge mehr sind als ein harmloses Völkchen mit gutmütigen Gesichtern.
Weshalb aber nun sind Hobbits die besseren Helden? Jonas Wolf widmet dieser Frage in seinem Buch „Alles über Hobbits“ ein ganzes Kapitel. Tolkien vermittle in seinem Kinderbuch die Lektion, dass das naive Beharren auf dem Guten auch des Kleinsten im Anblick einer Übermacht zum Erfolg führe. Umso wichtiger, wenn man bedenkt, dass der erste Hobbit 1937, vor dem Zweiten Weltkrieg, aus seiner Höhle kroch. Wolf zählt vier Prinzipien auf, die das hobbitsche Heldenideal ausmachen: „Bau auf die Freundschaft!“, „Gib niemals auf!“, „Mach das Beste aus deinen Möglichkeiten!“ und – „Genieße die Annehmlichkeiten des Lebens“. Klar, Bilbo rettet die Zwerge vor den Spinnen, er zeigt Ausdauer und nutzt sein Improvisationstalent, wenn er seine Freunde in Vorratsfässern aus dem Elbenhort schmuggelt – am wichtigsten ist jedoch der letzte Punkt. Denn die größte Angst der Hobbits ist es, eine ihrer sieben täglichen Mahlzeiten zu verpassen: Frühstück, zweites Frühstück, 11-Uhr-Imbiss, Mittagessen, Tee-Zeit, Abendessen und Nachtmahl. „Ich bin selber ein Hobbit“, sagte Tolkien einmal, „ich liebe Gärten, Bäume und Ackerland ohne Maschinen. Ich rauche Pfeife, esse gern gutbürgerlich und verabscheue die französische Küche.“
www.klett-cotta.de; Christina Scull, Wayne G. Hammond: „Die Kunst des Hobbit. Alle Bilder von J.?R.?R. Tolkien“, Klett Cotta, 144 Seiten, 29,95 Euro; Jonas Wolf: „Alles über Hobbits“, Piper, 368 Seiten, 12,99 Euro.